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Warum Bauern im 19. Jahrhundert ihre Tiere überlebensgroß malten

„Die Yorkshire Rose“ von Charles Turner (1773-1857).

Im 19. Jahrhundert, vor der modernen Fotografie und dem digitalen Marketing, griffen Bauern zu Pinseln und Leinwänden, um ihre schönsten Tiere zu präsentieren. Doch es waren nicht nur gewöhnliche Porträts von Schweinen, Kühen und Schafen – sie waren prachtvoll, übertrieben und manchmal fast schon komisch überdimensioniert. Dieser faszinierende künstlerische Trend verrät viel über die Agrarwirtschaft, die kulturellen Werte und den Wettbewerbscharakter ländlicher Gemeinden im 1800. Jahrhundert.

Größer war besser

Zwei Durham-Ochsen, ein winziger Mann. Maler unbekannt, über seltene historische Fotos.

In dieser Zeit erfreuten sich Landwirtschaftsmessen und Viehwettbewerbe in Großbritannien und Amerika großer Beliebtheit. Ein Sieg auf diesen Messen galt als Zeichen von Stolz, Prestige und finanziellem Erfolg. Landwirte beauftragten Künstler, ihre prämierten Tiere nicht nur als Dokumentation, sondern auch als Werbemittel darzustellen. Um Aufmerksamkeit zu erregen und den Status zu steigern, baten sie oft um eine kleine „künstlerische Verschönerung“.

Visuelles Marketing vor der Plakatwand

Die Zucht riesiger Tiere galt als patriotisch, und der Name dieses Bullen war „Patriot“. Foto vom Yale Center for British Art.

Ohne Fotografie waren Gemälde eine der wenigen Möglichkeiten, die besten Tiere eines Bauernhofs zu präsentieren. Ob im Bauernhaus aufgehängt, auf einem Jahrmarkt ausgestellt oder in Zeitungen und landwirtschaftlichen Fachzeitschriften abgebildet – diese Bilder dienten einem Marketingzweck. Ein massiver, muskulöser Bulle auf Leinwand versprach Stärke und Profitabilität, unabhängig davon, ob das echte Tier ganz so imposant war oder nicht.

Übertriebene Proportionen

Das ist ein wirklich großes Schwein. Foto vom Yale British Art Museum.

Eines der auffälligsten Elemente dieser Gemälde sind die übertriebenen Proportionen. Rinder mit fassgroßen Bäuchen, Schafe mit unglaublich flauschigem Fell und badewannengroße Schweine waren keine Seltenheit. Manche Künstler verwendeten sogar spezielle Techniken – wie das Absenken der Horizontlinie –, um die Tiere noch gewaltiger erscheinen zu lassen. Diese stilistischen Schnörkel halfen, Fülle und Wohlstand zu vermitteln.

Künstler, die die Fantasie umarmten

Quelle: WH Davis: „DW Coke und North Devon Ox“

Maler wie Thomas Sidney Cooper und Edwin Henry Landseer erlangten Bekanntheit für ihre detailreichen, idealisierten Tierdarstellungen. Obwohl nicht alle Künstler gleichermaßen übertrieben, verstanden viele die Aufgabe: das Tier wie das ultimative Exemplar aussehen zu lassen. Ihre Werke verwischten oft die Grenze zwischen Realismus und landwirtschaftlichem Anspruch.

Die Wissenschaft hinter dem Spektakel

Quelle: W. Gwynn und W. Wright: „Ein Shropshire-Schwein“

Interessanterweise waren diese Bilder nicht völlig frei erfunden. Die Zuchtmethoden des 19. Jahrhunderts führten dank selektiver Zucht und verbesserter Ernährung tatsächlich zu größeren Tieren. Die Gemälde tendierten jedoch dazu, diese Fortschritte ins Mythische zu übertreiben – reale landwirtschaftliche Fortschritte wurden zu übertriebenen visuellen Triumphen.

Was diese Gemälde über den Bauern aussagen

Das ist ein wirklich großes Schwein. Foto vom Yale British Art Museum.

Während wir heute über ein Schaf von der Größe eines Ponys lachen, sprachen diese Bilder Bände über die Ambitionen ihrer Besitzer. Landwirte wollten als seriöse Züchter, erfolgreiche Unternehmer und stolze Verwalter ihres Landes gelten. Ein überlebensgroßes Tier war nicht nur ein Marketingtrick – es war ein Symbol für Identität und Erfolg.

Echos in der modernen Werbung

Quelle: William Smith: „Der Champion Shorthorn“

Obwohl wir heute auf hochauflösende Bilder und virale Videos setzen, bleibt der Impuls derselbe. Wir idealisieren unsere Produkte immer noch, polieren unsere Präsentationen auf und streben nach visueller Wirkung. Diese Tierporträts aus dem 19. Jahrhundert waren die ursprünglichen Influencer – übergroß, hochstilisiert und absolut unvergesslich.

Die Tradition, Tiere überlebensgroß zu malen, bietet mehr als nur ein Schmunzeln über die künstlerische Freiheit des 19. Jahrhunderts – sie gewährt Einblicke in eine Welt, in der Landwirtschaft, Wettbewerb und visuelles Geschichtenerzählen aufeinanderprallten. Diese Porträts spiegeln sowohl den Stolz als auch die Leistung des landwirtschaftlichen Lebens wider und erinnern uns daran, dass die Kunst der Übertreibung schon immer ihren Platz im Marketing hatte, selbst auf dem Bauernhof.